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Jacques Benveniste
Jacques Benveniste (12.03.1935 – 03.10.2004) war ein renommierter französischer Mediziner und Immunologe, der vor allem durch seine Behauptung bekannt wurde, extrem hohe Verdünnungen könnten noch ähnlich starke Wirkungen hervorrufen wie die Ausgangssubstanz („Gedächtnis des Wassers“). Die Veröffentlichung dieser Arbeit in der angesehenen Fachzeitschrift Nature im Jahre 1988 führte zu einer lang anhaltenden Kontroverse. Eine von Nature eingesetzte Untersuchungskommission kam zu dem Ergebnis, dass die Ergebnisse auf „Selbsttäuschung beruhten“ und „Illusion seien“. Mit wechselndem Erfolg wurden seitdem zahlreiche Versuche durchgeführt, die Ergebnisse von Benvenistes Arbeitsgruppe zu reproduzieren. Benveniste selbst stand zeitlebens zu seinen Experimenten und ihrer Interpretation und gründete 1997 die Firma DigiBio, um seine Forschungen fortsetzen zu können. Nach seinem Tod wurden seine Arbeiten unter anderem vom umstrittenen französischen Nobelpreisträger Luc Montagnier aufgegriffen.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Jacques Benveniste legte 1951 sein Abitur ab und studierte von 1953–1960 in Paris Medizin. 1965 wurde er Mitarbeiter des Institut für Krebsforschung am CNRS (Centre National de la Recherche und 1971 international bekannt durch seine Entdeckung des Plättchenaktivierenden Faktors (PAF, eines Phospholipids, das eine wichtige Rolle beim Zusammenwirken von Blutbestandteilen im Gefäßsystem spielt). 1973 wechselte er zum INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale), wo er zum Direktor mehrerer Forschungsgruppen aufstieg. In den Jahren 1981–83 gehörte er zu den Beratern des damaligen französischen Forschungsministers Jean-Pierre Chevènement.
Nach der Kontroverse um seine Forschungen zu ultrahohen Verdünnungen durfte er zunächst seine Anstellung am INSERM behalten, die Evaluierungskommission empfahl ihm aber, „den vollen Rückhalt seiner Fachkollegen wiederherzustellen“ und diese Arbeiten einzustellen. 1995 musste er das INSERM schließlich verlassen.
1997 gründete er die Firma DigiBio, um seine Forschungen fortsetzen zu können. Unter anderem versuchte er, angeblich im Wasser gespeicherte Informationen digital auszulesen, zu übertragen und in eine andere Wasserprobe zu schreiben. Er erhielt dafür prominente Unterstützer, unter anderem den Physik-Nobelpreisträger Brian Josephson sowie den HIV-Entdecker und späteren Nobelpreisträger Luc Montagnier. Durch seine Arbeiten erfuhr Benveniste aber auch die zweifelhafte Ehre, als erste und bis 2012 einzige Person zweimal (1991, 1998) mit dem parodistischen Ig-Nobel-Preis ausgezeichnet zu werden.[1]
Jacques Benveniste starb 2004 während einer Herzoperation. Seine Arbeiten wurden u.a. von Luc Montagnier aufgegriffen, der gemeinsam mit Benvenistes Erben die Firma Nanectis als Nachfolgerin von DigiBio gründete. Nach seinem Tod veröffentlichten seine Kinder Benvenistes Buch «Ma vérité sur la mémoire de l'eau» (Meine Wahrheit über das Gedächtnis des Wassers),[2] in dem er seine Version der Ereignisse schildert.
Kontroverse um ultrahohe Verdünnungen
1988 veröffentlichte Jacques Benveniste mit seiner Arbeitsgruppe Ergebnisse seiner Untersuchungen an basophilen Leukozyten (speziellen weißen Blutkörperchen) über deren Reaktionen auf bestimmte Antikörper[3]. Er berichtet darüber, dass die Leukozyten auch dann reagierten, wenn die Lösung mit den Antikörpern so weit verdünnt war (bis 1:10120), dass sicher kein Rest der Antikörper vorhanden war. Diesen Effekt konnte er nur feststellen, wenn die Lösung schrittweise verdünnt und dabei heftig geschüttelt wurde, und wenn im Ausgangsprodukt tatsächlich Antikörper vorhanden waren, nicht jedoch, wenn man mit reinem Wasser begann. Der Effekt konnte nicht beobachtet werden, wenn die fertige Lösung erhöhter Wärme ausgesetzt oder eingefroren wurde. Benveniste vermutete ein übergeordnetes Phänomen in der Molekülstruktur des Wassers und brachte es mit dem Dipolcharakter des Wassermoleküls in Verbindung. Der beobachtete Effekt wurde auch nicht kontinuierlich immer kleiner, je weiter die Verdünnung voranschritt, sondern zeigte einen periodisch durch herausragende Spitzen gekennzeichneten Verlauf. Man zog aus allen diesen Beobachtungen den naheliegenden Schluss, dass hier möglicherweise eine Erklärung für die in der Homöopathie dem Potenzieren zugeschriebenen Phänomene liegen könnte.
Benvenistes Aussagen zufolge standen die Arbeiten in keinem Zusammenhang zur Homöopathie und wurden innerhalb seiner Forschungsgruppe zunächst ungläubig aufgenommen, da der Widerspruch zu den Grundlagen von Physik und Chemie offensichtlich war und im Paper auch nicht versteckt wurde. Aus diesem Grund hatte er noch drei weitere Institute eingeschaltet und gebeten, seine Ergebnisse zu überprüfen, was Benveniste zufolge gelungen war. Die beteiligten Forscher dieser Institute gehörten später zu den Autoren des Nature-Papers. Mitarbeiter Benvenistes widersprachen später aber dieser Darstellung: so wurden die Arbeiten u.a. von den Homöopathika-Herstellern Boiron und LHF finanziert, und neben den Arbeiten mit verdünntem IgE-(Immunglobulin E-)Antiserum wurde auch die Wirkung homöopathischer Präparate untersucht.[4]
Um die Veröffentlichung in Nature entspann sich eine heute noch anhaltende Kontroverse, in der durchaus beide Standpunkte, sowohl des Herausgebers von Nature, wo die Arbeit erschien, als auch der betroffenen Forscher um Benveniste, nachvollziehbar sind. Anfangspunkt war ein bemerkenswerter und für die Wissenschaft einmaliger Kompromiss zwischen Benveniste und John R. Maddox, dem damaligen Herausgeber von Nature: Maddox akzeptierte Benvenistes Paper unter der Voraussetzung, dass Benveniste ihm und weiteren Ermittlern Zugang zu seinen Laboren gewähren würde. Zugleich „warnte“ er im Editorial und in einer Fußnote zum Artikel davor, die Ergebnisse als gesichert anzuerkennen.
Die einwöchige Inspektion wurde von Maddox selbst, dem Biologen Walter W. Stewart und dem Zauberkünstler James Randi durchgeführt. Die Hinzuziehung Stewarts und Randis machte deutlich, dass Betrug oder schwerwiegende Fehler vermutet wurden, denn beide hatten sich einen Namen als Kritiker von Betrügern und Pseudowissenschaftlern gemacht. Maddox und seine Mitarbeiter kamen zu dem Schluss:[5]
Die bemerkenswerten Behauptungen von Dr. Jacques Benveniste und Kollegen aus Nature (333:816, 1988) basieren in der Hauptsache auf einer ausführlichen Serie von Experimenten, die statistisch schlecht überprüft wurden (“ill-controlled”), bei denen keine nennenswerten Versuche unternommen wurden, systematische Fehler einschließlich eines Beobachterfehlers auszuschließen, und deren Interpretation dadurch verschleiert wurde, dass Messergebnisse weggelassen wurden, die der Behauptung widersprachen, „hoch verdünntes“ IgE könnte die basophilen [Leukozyten] zur Degranulation bringen. Die beschriebenen Phänomene sind nicht im ursprünglichen Sinne des Wortes reproduzierbar. [B 1]
Zu diesem Bericht nahm Benveniste Stellung und beklagte dabei die Inkompetenz der drei Inspektoren für die Untersuchungen in seinem biologischen Labor:[6]
Ihre [der Inspektoren] Amateurhaftigkeit, das Klima, das sie in den fünf Tagen dieser Zerreißprobe erzeugten, ihre Unfähigkeit, mit unseren biologischen Systemen klar zu kommen, und ihre Beurteilung die auf einer einzigen Verdünnungsserie beruht, entkräften diese Untersuchung völlig. [B 2]
Im weiteren Verlauf des Textes weist Benveniste unter anderem darauf hin, dass doppelt so viele Auswertungen gemacht wurden, als in diesem Zeitraum sonst zumutbar, dass die Inspektoren selbst in den Versuchsablauf eingegriffen haben und infolge mangelnder Sachkenntnis Fehler in den Arbeitsablauf eingebracht wurden.
Der Disput zog sich über mehrere Monate hin, ohne dass eine der beiden Seiten die jeweils andere überzeugen konnte.
Versuche zur Replizierung der Ergebnisse von Benveniste
Bereits im August 1988 erschienen zwei Leserbriefe, in denen die Autoren berichten, sie hätten sehr ähnliche Versuche durchgeführt, die Ergebnisse aber jeweils nicht replizieren konnten.[7] In der Folge hat es nicht an weiteren Versuchen gefehlt, die Ergebnisse unabhängig von Benveniste zu replizieren, jedoch nicht mit überzeugenden Ergebnissen:
Ovelgönne (1992):[8]
Genau genommen zeigte sich bei uns gar kein Effekt der extremen Verdünnungen [von IgE]. Wir schließen daraus, dass der Effekt der starken Verdünnungen von Anti-IgE, wie von Davenas et al. berichtet, einer weiteren Klärung bedarf und dass dabei die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse zwischen den Laboranten sorgfältig betrachtet werden sollte. [B 3]
Hirst (1993):[9]
Wir folgten so genau wie möglich der Methodik der originalen Studie, konnten aber keinen Hinweis auf periodische oder polynomische Verläufe in der Degranulation als Funktion der anti-IgE Konzentration finden. Unsere Ergebnisse enthalten Variationen, die wir nicht erklären können, aber kein Merkmal der Daten stimmt mit den früher veröffentlichten Ergebnissen überein.[B 4]
Einer Forschergruppe um Madeleine Ennis gelang es, unabhängig von Benveniste ähnliche Ergebnisse zu erlangen, worüber sie 1999 und 2004 in Inflammation Research berichtete.[10] Dabei kamen Lösungen von 1:1030 bis 1:1038 zum Einsatz, also nicht so hoch wie bei den Versuchen von Benveniste, aber durchaus jenseits der Avogadrogrenze. Die Untersuchungen wurden an drei verschiedenen Laboratorien durchgeführt, wobei unterschiedliche Verfahren zum Nachweis der Reaktion eingesetzt wurden.
In drei verschiedenen Arten von Experimenten konnte gezeigt werden, dass starke Verdünnungen von Histamin tatsächlich einen Einfluss auf die Aktivitäten der basophilen [Leukozyten] haben könnten. [...] Wir sind jedoch nicht in der Lage, unsere Ergebnisse zu erklären und berichten hier darüber, um andere Forscher dazu zu ermuntern, dieses Phänomen zu untersuchen. [B 5]
James Randi forderte Ennis daraufhin auf, sich mit ihren Versuchen um die Prämie von einer Million Dollar zu bewerben, die er für den Nachweis einer paranormalen Fähigkeit ausgesetzt hatte. In Zusammenarbeit mit dem britischen Fernsehen wurde unter Mitarbeit von Ennis eine neue Versuchsreihe aufgesetzt und doppelblind durchgeführt. Alle Proben waren codiert, so dass zum Zeitpunkt der Versuchsdurchführung nicht bekannt war, ob eine Hochpotenz oder eine Kontrollösung getestet wurde. Erst im Verlauf der Fernsehsendung wurde der Code gebrochen, mit dem Ergebnis, dass kein Unterschied zwischen reinem Wasser und der extremen Verdünnung von Antikörpern gefunden werden konnte.[11][12]
Experimente analog zu denen von Ennis' Arbeitsgruppe wurden von Salvatore Chirumbolo und Mitarbeitern an der Universität Verona durchgeführt. Dabei kamen sowohl Lösungen zum Einsatz, in denen die Konzentration des Ausgangsstoffs durch sukzessives Verdünnen und Schütteln jenseits der Avogadrogrenze reduziert wurde, als auch Kontrollen, in denen gleiche Verdünnungs- und Schüttelsequenzen mit reinem Wasser durchgeführt wurden. Die verbliebene Aktivität der „homöopathischen Verdünnungen“ war im Vergleich mit dem Ausgangsstoff zwar gering, aber statistisch signifikant größer als die Aktivität von entsprechend präpariertem reinen Wasser.[13].
In einer Übersichtsarbeit (2007) fassten Claudia Witt et al.[14] den Stand der Forschung vorsichtig zusammen:
Sogar in Experimenten mit hohen methodischen Standards konnten Effekte von Hochpotenzen nachgewiesen werden. Kein positives Ergebnis war stabil genug, um von allen Forschungsgruppen reproduziert werden zu können. [B 6]
In einem weiteren Review-Artikel aus dem Jahr 2010 kam Ennis zu einem ähnlich zögerlichen Schluss:[15].
Sicherlich scheint es einige Hinweise auf einen Effekt der hohen Verdünnungen zu geben – wenn in einigen Fällen auch klein – wie in mehreren Laboratorien mit der Durchflusszytometrie festgestellt wurde. Nach der Standardisierung einer Reihe von Parametern wird weiter empfohlen, eine multizentrische Untersuchung durchzuführen, um hoffentlich diese „unendliche Geschichte“ zu einem Ende zu bringen. [B 7]
Digitale Biologie
Nach seinem unfreiwilligen Weggang vom INSERM setzte Benveniste seine Arbeit unbeirrt von Kritik fort und gründete 1997 die Firma DigiBio in Paris. Während der Nature-Kontroverse vermuteten Benveniste und seine Mitarbeiter noch, dass der Schlüssel zum „Gedächtnis des Wassers“ im extrem kurzlebigen Netzwerk von Wasserstoffbrücken liegen müsste, das für flüssiges Wasser charakteristisch ist. Später erweiterte Benveniste seine Erklärungshypothesen und ging davon aus, dass biologisch aktive Moleküle über niederfrequente elektromagnetische Wellen kommunizieren – und dass er diese Wellen aufzeichnen, digitalisieren und speichern könne.[16] Mit DigiBio patentierte[17] er diese Technik und versuchte sie kommerzialisieren, allerdings ohne Erfolg. Benveniste versuchte nie, seine Thesen durch physikalische Grundlagenversuche zu untermauern – er schaffte es nicht, seine experimentellen Anordnungen zu vereinfachen und blieb stets auf der Ebene von Zellen, Gewebe oder ganzen Organismen, wo direkte Ursache-Wirkung-Beziehungen schwer nachzuweisen und statistische Tests erforderlich sind, um Unterschiede zu Kontrollversuchen nachzuweisen.[18]
Weiterführende Literatur |
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• Ball P: H2O – Biographie des Wassers, Piper 2001 • Bergmann H: Wasser, das Wunderelement?: Wahrheit oder Hokuspokus, Wiley-VCH Verlag, 2011 • Schiff M: Un cas de censure dans la science: L'Affaire de la mémoire de l'eau, Albin Michel 1994 |
Quellen- und Literaturangaben |
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Anmerkungen und Originalzitate |
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